A. Hänni: Terrorismus als Konstrukt

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Title
Terrorismus als Konstrukt. Schwarze Propaganda, politische Bedrohungsängste und der Krieg gegen den Terrorismus in Reagans Amerika


Author(s)
Hänni, Adrian
Series
Frieden und Krieg 24
Published
Essen 2018: Klartext Verlag
Extent
387 S.
Price
€ 29,95
URL
by
Michel Wyss

Ein oft übersehener Aspekt des seit 20 Jahren andauernden «Krieg gegen den Terror» ist die Nachfrage nach wissenschaftlicher Expertise zum Thema. In den USA und – in einem geringeren Masse – in Europa schossen nach den Anschlägen vom 11. September 2001 Studiengänge und Publikationen wie Pilze aus dem Boden, die sich dem Phänomen «Terrorismus» und dessen Bekämpfung widmeten. Dieses Feld der «orthodoxen» Terrorismusforschung wurde wiederholt scharfer Kritik unterzogen. Neben methodischen und theoretischen Schwächen wurden insbesondere staatszentrierte Prioritäten und Perspektiven und damit verbunden eine mangelnde Distanz von Forschern und Forschungsinstituten zu staatlichen Sicherheitsorganen bemängelt.1

Adrian Hännis Dissertation steht in der Tradition eines kritischen Zugangs zur Terrorismusforschung. Wie der Autor schreibt, sei sie als Beitrag zur notwendigen Aufarbeitung der «Militarisierung der ‹Antiterror-Politik› in westlichen Demokratien» (S. 20) zu verstehen. Sein Anspruch ist dabei nichts Geringeres als die Begründung einer kritischen Terrorismusgeschichte. Hänni interessiert sich nicht für eine essentialistische Genealogie des Terrorismus, vielmehr will er dessen historische Kontinuitäten als «sozial-diskursiv konstruiertem Gegenstand» (S. 35) herausarbeiten. Die zentrale These seiner Arbeit lautet, dass es sich beim «Krieg gegen den Terror» nach 2001 keineswegs um eine Schöpfung aus dem Nichts handle, sondern dass dieser eng mit dem Terrorismusdiskurs sowie den Antiterrorismus-Praktiken unter US-Präsident Ronald Reagan und damit «untrennbar mit der Geschichte des Kalten Kriegs verknüpft» sei.

Hänni beschreibt, wie Medien, Wissenschaft und Politik gegen Ende der 1960er bzw. Anfang der 1970er Jahre verschiedene Formen der politischen Gewalt wie Bombenanschläge, Geiselnahmen und Flugzeugentführungen als Teil eines grösseren Phänomens – namentlich Terrorismus – zu interpretieren begannen. Diese Entwicklung ging einher mit der Formierung von terrorism studies als einem eigenständigen Wissenschaftsfeld. Es hätte der Arbeit nicht geschadet, das Spektrum an unterschiedlichen Positionen und Meinungen der dabei federführenden Terrorismusexperten etwas detaillierter und differenzierter wiederzugeben.2 Hänni betont aber zurecht, dass es diesen «Terrorologen» nie gelang, die Deutungshoheit über das Phänomen zu erlangen und dass sie dieses stattdessen mit Massenmedien sowie Vertretern der US-Regierung teilen mussten. Ähnlich wie die «Sowjetologie» habe der Terrorismusdiskurs somit «im Zwischenraum von politischem Wissen und wissenschaftlichen Diskursen» (S. 56) verharrt. Dies bringt Hänni zum Committee on Present Danger (CPD), einer antikommunistischen Interessensgruppe, die sich wie ihre namensgleiche Vorgängerorganisation aus den 1950er Jahren der Bekämpfung einer – bewusst überzeichneten – «sowjetischen Bedrohung» verschrieb. Diese Faktoren – die Entdeckung des Terrorismus als eines spezifischen Problemfeldes sowie der Rekurs auf die «sowjetischen Gefahr» – bildeten die Rahmenbedingungen für den Kern des Terrorismusdiskurses der Reagan-Administration: ein von der Sowjetunion gelenktes globales Terror-Netzwerk als existenzielle Bedrohung für die USA und westliche Demokratien.

Anhand der Jerusalem Conference on International Terrorism (JCIT) im Juli 1979 sowie dem Erscheinen von Claire Sterlings The Terror Network zwei Jahre später rekonstruiert Hänni die Herausbildung dieser Vorstellung. Pikanterweise basieren zahlreiche Schlüsselpassagen in Sterlings Werk – der «repräsentativste, einflussreichste und konstitutivste Einzeltext des amerikanischen Terrorismusdiskurses der frühen 1980er Jahre» (S. 95) – auf gezielt verbreiteten Desinformationen, wie Hänni mittels mehreren Fallbeispielen überzeugend demonstriert. Die Idee des von der Sowjetunion kontrollierten Terrornetzwerks habe folglich in «Schwarzen Propagandaoperationen westlicher Geheimdienste» gegründet (S. 165), was ihrer Verbreitung durch die Reagan-Administration, darunter viele vormalige CPD-Mitglieder, jedoch keinen Abbruch tat. Hänni zeigt aber auch auf, dass sich dieser Prozess bei weitem nicht immer friktionslos vollzog und sich etwa unter Geheimdienstanalysten punktuell Widerstand dagegen regte.

Hänni verortet Mitte 1980er Jahre eine Transformation des Terrorismusdiskurses, in dem nun eine Reihe sozialistischer bzw. radikal-totalitär islamischer «Staatssponsoren» die zentrale Rolle im «Netzwerk» einnahmen. Diese Verschiebung erlaubte – anders als im Falle der Sowjetunion – denn auch die Formulierung einer militärischen Antwort auf vermeintliche terroristische Bedrohungen. Dass sich im Januar 1986 erstmals eine Mehrheit der amerikanischen Bevölkerung für den Einsatz militärischer Gewalt gegen Terrorismus aussprach, belege nicht zuletzt die Effektivität des Terrorismusdiskurses als «Machtstrategie». Der Militärschlag gegen Libyen im April 1986 blieb aber dennoch die Ausnahme. Stattdessen habe der Iran-Contra-Skandal gegen Ende 1986 die Militarisierung des Terrorismusdiskurses und seiner Antiterror-Praktiken reversiert, die nun einstweilen der Logik der Strafverfolgung und weiterer nicht-militärischen Massnahmen folgten. An dieser Stelle hätte man sich eine etwas detailliertere Aufarbeitung dieses Gegenprozesses gewünscht, nicht zuletzt auch mit Blick auf notwendige Vorbedingungen für eine analoge Reversion gegenwärtiger Antiterrorpraktiken militärischer Art.

Zum Schluss bettet Hänni die Paranoia vor dem sowjetischen Terrornetzwerk in einen breiteren Kontext imaginärer Verschwörungen und deren Charakteristika ein. Sie alle seien «monolithisch, zentralisiert, absolut böse und apokalyptisch» (S. 328). Zugleich weist der darauf hin, dass solche politischen Hysterien nicht spontan entstünden, sondern genau dann am meisten Wirkung entfalteten, «wenn sie von Spitzenpolitikern wie dem Präsidenten der USA für real erklärt» (ebd.) würden – eine Warnung, wie sie angesichts von Corona, QAnon und der zunehmenden Dämonisierung der jeweiligen Gegenseite im politischen Diskurs der Vereinigten Staaten nicht aktueller sein könnte.

Anmerkungen
1 Siehe z. B. Richard Jackson, The Core Commitments of Critical Terrorism Studies, in: European Political Science 6/3 (2007), S. 244–246.
2 So wie etwa bei Lisa Stampnitzky, auf deren Forschung sich Hänni laut eigener Aussage in Kapitel 2 stark stützt. Vgl. Lisa Stampnitzky, Disciplining Terror. How Experts Invented Terrorism, New York 2013.

Zitierweise:
Wyss, Michel: Rezension zu: Hänni, Adrian: Terrorismus als Konstrukt. Schwarze Propaganda, politische Bedrohungsängste und der Krieg gegen den Terrorismus in Reagans Amerika, Essen 2019. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte 71 (3), 2021, S. 578-579. Online: <https://doi.org/10.24894/2296-6013.00093>.

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